Nun, nach etwa drei Monaten hier am Niederrhein hatte ich einigermaßen Gelegenheit, mir auch ein Bild von der hiesigen Bevölkerung zu machen, und will mal probieren, meine Eindrücke zu formulieren.
Versuche ich, Vergleiche zu meinem früheren Wohnort Chemnitz zu ziehen (einer Großstadt), fallen mir als erstes Unterschiede im Kommunikationsverhalten ein.
Meiner Erfahrung nach stellen die Leute in meiner neuen Umgebung einerseits weniger bis keine Fragen, auch wenn man sich neu kennenlernt. Das kann bei einem als mangelndes Interesse am Gegenüber, aber auch als höfliche Zurückhaltung ankommen. Andererseits ist auch das Frageverhalten anders: Oft werden keine Ergänzungsfragen gestellt, sondern eigene Vermutungen geäußert, die das Gegenüber dann widerlegen oder bestätigen muss.
In Chemnitz wurde ich z. B. beim Ende von Veranstaltungen auch nicht selten danach gefragt, wie ich nach Hause käme (also per ÖPNV, Rad oder sonstwie). Hier habe ich dieses freundliches „Kümmern“ seltener erlebt. Wahrscheinlich verlässt man hier eben sein eigenes Dorf eher nicht (hat also eh nur Fußwegstrecken zurückzulegen) oder es hat jeder ein Auto. Ohne fahrbaren Untersatz wird es hier wohl schwierig, da viele Busse– wenn überhaupt – nur ein einziges Mal pro Stunde verkehren und das auch nur bis allerspätestens 20 Uhr.
In der Diaspora in Chemnitz habe ich erlebt, dass die Pfarreien mehr zusammen unternehmen, auch überkonfessionell, und viele Gemeindemitglieder sich daher gegenseitig kennen. Hier bin ich gelegentlich auf überraschte Reaktionen gestoßen, wenn es mich mal nicht in die örtliche Dorfkirche, sondern in eine der umliegenden Dörfer zog. Dabei sind gerade hier die meisten Pfarreien nicht mehr eigenständig, sondern zu mehreren in Seelsorgeeinheiten zusammengeschlossen. Das heißt dann wohl nur, dass sie sich die selben Seelsorger teilen, die Gemeindemitglieder selbst sich aber nicht unbedingt begegnen müssen.
Und sollte es doch einmal zu einer persönlichen Vorstellung kommen, dann nennt man hier eher den Namen des Heimatdorfes, aber nicht den Namen der Gemeinde. Ich habe schon öfter den Fehler gemacht und gemäß meiner Postanschrift gesagt, ich wohne in Bedburg-Hau, statt zu sagen im Dorf Hasselt. Hören die Leute aber Bedburg-Hau, denken sie sofort an die hiesige „Anstalt“ und versuchen zu verstehen, wie man dort einzuordnen sei.
Als weiterer Unterschied fiel mir auf, dass die Leute hier ein meiner Meinung nach großes Talent für Situationskomik haben, was oft dazu führt, dass die Grundstimmung insgesamt fröhlicher wirkt, wenn man zusammen ist. In Chemnitz habe ich dafür häufiger Selbstironie angetroffen und die Leute kommen mir dort ein bisschen introvertierter und ruhiger vor als hier.
Meinen Eindruck von Distanziertheit verstärkt hier, dass die Leute sich beim Begrüßen und Verabschieden selten die Hand drücken und sich dabei in die Augen schauen. Darum wirkt das auf mich eher als Mitteilung in die Runde, man sei eingetroffen bzw. ziehe sich nun zurück, denn als tatsächliches Grüßen.
Wenn man hier in der Gegend Informationen sucht, dann wird man im Internet und in Papiermedien meist nicht fündig. Denn vieles läuft meiner Erfahrung nach über Mundpropaganda. Man muss die richtigen Leute fragen, um etwas zu erfahren. Weiß man nicht, wen man fragen könnte, erfährt man auch nichts. Hat man aber endlich jemanden gefunden, der Bescheid weiß, dann ist man überrascht, wie viel hier doch los ist – z. B. dass der Kreis Kleve doch keine Taizé-Gebets-freie Zone ist…
Der niederrheinische Kabarettist Hanns Dieter Hüsch hat die Gegend und die Bevölkerung einmal humorvoll charakterisiert – nachzulesen z. B. hier: „Sach ma nix!„, NRZ, 04.05.2005, Hüsch erklärt den Niederrhein(er)
Gudrun said,
20. Juli 2015 at 18:24
Liebe Ester, nun wohnst Du ja nicht mehr hier. Aber es ist köstlich für mich hier zu lesen, wie Du die Menschen in der Gegend hier "empfunden" hast. Ich bin ja auch nicht von hier, sondern von Köln. Als Einheimische werden wir bis heute nicht angesehen, aber das wirkt sich nicht negativ aus. Trotzdem habe ich das Leben und die Leute hier ganz anders empfunden: freundlich und aufgeschlossen, humorvoll, manchmal etwas "dröge"(~trockener Humor), aber durchaus recht kontaktfreudig; man muss aber auch auf sie zugehen, sich einbringen und Interesse zeigen. Ich finde das Leben hier so erfreulich und freundlich, dass ich hier nicht mehr weg möchte. – Hm. – So sieht es jeder anders. Gut so.